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Die Austellung in der Bildungsstätte des Bayerischen Bauernverbandes in Herrsching

Eröffnungsrede zur Ausstellung "Kreaturen" am 23. März 2001


Christoph Kaesbohrer hat seine neue Ausstellung "Kreaturen" genannt, und zu Kreaturen gehört, das sagt schon der Name, ein Schöpfer, ein Kreator.
Bei den Bildern, die wir uns heute abend hier anschauen können, ist das ein wenig anders, denn sie haben nicht nur einen, sondern viele Schöpfer.

Da sind zunächst die Baumaschinen, die irgendwann einmal ein Stück Landschaft, vielleicht eine Wiese, einen Wald, ein Rübenfeld mit Asphalt überzogen haben und damit die Straße, den Hintergrund für die Teerzeichen geschaffen haben.
Lange bleibt in unseren Breiten freilich keine Straße so jungfräulich glatt, wie ihre Erbauer sie gerne haben. Autos und Laster verformen ihren Belag und erzeugen kleine Haar-Risse, die im Winter vom Frost immer weiter aufgebrochen werden. Pflanzen siedeln sich übrigens gerne in diesen Rissen an, Moose, Kräuter oder Löwenzahn, die da, wo sie nicht gleich wieder plattgefahren werden, oft verblüffend artenreiche Mini-Biotope bilden.
Irgendwann aber setzt das Straßenbauamt diesem Treiben ein Ende und gießt die Risse sauber und ordentlich mit heißem, schwarzen Teer aus, der dann von unzähligen Autoreifen in die kleinsten Ritzen gedrückt und ordentlich durchgewalkt, verformt und verteilt wird. So bleiben die Teerzeichen nie gleich, sondern verändern sich unablässig.
Auf Fuß- und Radlerwegen findet so mancher Kronkorken oder Kaugummi, aber auch andere, absonderlichere Dinge ihren Weg in die zähe Masse, die in ein paar tausend Jahren vielleicht einmal als eine Art Bernstein unserer Zivilisation von unschätzbaren Wert für künftige Archäologen sein wird.

Vorher aber tritt der Fotograf Christoph Kaesbohrer in Aktion, der mit seiner Hasselblad diese flüchtigen Figuren auf Schwarzweißfilm festhält. Oft bleiben ihm dafür bloß ein paar Sekunden Zeit, in denen er sich zwischen zwei vorbeifahrenden Autos todesmutig in die Mitte der Straße stürzt. Was bei diesen gewagten Aktionen herausgekommen ist (den Lohn der Angst, sozusagen), sehen Sie in dieser Ausstellung, mit der übrigens ein neuer Abschnitt in der gut 15 -jährigen Beschäftigung des Künstlers mit den Teerzeichen eingeläutet wird: Erstmalig hat Christoph Kaesbohrer einige seiner Schwarzweiß-Bilder auf dem Computer, verfremdet, graphisch aufbereitet und mit Farbe versehen.

Doch damit ist die Reihe der an diesen Teerzeichen beteiligten Schöpfer noch nicht zu Ende. Mit die wichtigsten nämlich stehen ganz am Ende der Kette. Es sind wir alle, die wir die Bilder dieser Ausstellung betrachten. Denn die entscheidende Wirkung entfalten Christoph Kaesbohrers Teerbilder erst dann, wenn man vor ihnen steht und die eigene Phantasie zu arbeiten beginnt. Ist das jetzt ein Bumerang oder ein Krokodil? Ein Vogel oder ein Rollstuhlfahrer? Ein Kürbis oder eine Waschmaschine? Oder vielleicht ein Tor in die Unterwelt?
Ich kenne Leute, die eine halbe Stunde lang vor einem dieser Piktogramme gestanden sind und heiß darüber diskutiert haben, was man noch alles darin sehen könnte, und ich weiß von Christoph Kaesbohrer, dass er genau das mit seinen Bildern beabsichtigt.

Bevor ich Sie nun den Teerzeichen und Ihrer eigenen Phantasie überlasse, noch eine Warnung zu Mit-nach-Hause nehmen: Christoph Kaesbohrers Teerbilder haben ein hohes Suchtpotential.
Spätestens wenn Sie morgen früh aus dem Haus gehen werden ihre Blicke unweigerlich nach unten wandern, auf die Straße, den Gehsteig, den Radlweg, und sie werden sich auf einmal fragen, wo auf einmal die vielen Teerzeichen herkommen, die Sie bisher noch nie bemerkt haben.
Passen Sie also gut auf Laternenpfähle, Verkehrsschilder und ahnungslose Passanten auf, besonders dann, wenn die ebenfalls in dieser Ausstellung waren und ihrerseits bloß noch auf dem Boden schauen.
In diesem Sinn: Viel Vergnügen mit den Teerzeichen - sie werden Sie vielleicht nie wieder loslassen.

Thomas A. Merk

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